Die Entdeckung, dass körperfremde Tumorzellen in immundefiziente Mäuse transplantiert werden können, führte u. a. zu der Etablierung verschiedener heterotoper und orthotoper Mausmodelle, die jedoch oft, gerade was das Abbilden spezifischer Metastasierungsschritte betrifft, ebenfalls unvollständig und wenig repräsentativ sind. Da zudem der Einsatz von Tieren zu Versuchszwecken aus ethischen Gründen nur dann gerechtfertigt ist, wenn es dazu keine Alternativen gibt, wäre es wünschenswert, zur in vivo Untersuchung der Metastasierungsfähigkeit geeignete und spezifischere Methoden zu etablieren, die die Zahl solcher Tierversuche deutlich reduzieren oder sogar unnötig machen.
Zudem konnten bisher die meisten in vivo Modelle nicht den für die Tumorzellstreuung und Metastasierung so entscheidenden Schritt der Intravasation, des Einbruchs in Blutgefäße, selektiv darstellen. Je nach zu beantwortender Fragestellung stellt das Hühner-Embryo-Metastasierungsmodell (CEM) oder Hühnerei-Chorionallantoismembran-Modell (CAM) eine sehr überzeugende Alternative zu diesen heterotropen oder orthotopen Karzinommodellen der Nacktmaus dar und kann in diesem Zusammenhang als leistungsstarke in vivo Ersatzmethode herangezogen werden, um spezifische Schritte der Metastasierungskaskade zu prüfen.
Vergleich zum Mausmodell
Im Vergleich zum Mausmodell ermöglicht es eine relativ unproblematische Analyse der einzelnen Teilschritte komplexer physiologischer Vorgänge der Angiogenese, Intravasation und Metastasierung und erfüllt somit in idealer Weise die Zielsetzung der Reduzierbarkeit und den Ersatz der für entsprechende Versuche benötigten Tiere. Zudem ermöglicht das CAM-Modell im Gegensatz zu den meisten benutzten Tiermodellen eine spezifische Differenzierung des Schrittes der Intravasation, des Einbruchs der Tumorzellen in Gefäße. Darüber hinaus ist die Verwendung von befruchteten Eiern wesentlich weniger kostenintensiv, da weder durch die Anschaffung noch durch die notwendige Unterbringung in Brutschränken hohe Kosten entstehen.
Zudem hat das CAM-Modell einen entscheidenden zusätzlichen Vorteil: Dauert ein Versuchsansatz zur spontanen oder experimentellen Metastasierung im murinen Modell in der Regel 4-10 Wochen oder länger, so kann man gleiche Fragestellungen im Hühnerembryo bereits nach 7-9 Tagen beantworten. Die zu untersuchenden Zellen werden direkt auf die Chorionallantoismembran aufgebracht und zusammen mit dem Ei inkubiert. Der Nachweis der Invasion humaner Tumorzellen erfolgt mittels einer PCR für humane Alu-Sequenzen.
Durch Isolierung genomischer DNA der Blutgefäße der Membran und anschießendem Nachweis der eingewanderten Zellen der kontralateralen CAM kann der Teilschritt der Intravasation spezifisch beurteilt werden. Bei längerer Bebrütung können auch einzelne Gewebe aus dem Embryo entnommen und aufgearbeitet werden, wodurch eine Aussage über die Metastasierungsfähigkeit in Organstrukturen erfolgen kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass es sich um ein geschlossenes Modell handelt. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Testung neuer antimetastatischer Substanzen wichtig, die oft nur in limitierter Menge zur Verfügung stehen.
Durchführung
Zur Durchführung des Assays werden befruchtete, unbebrütete Eier neun Tage in entsprechenden Brutkästen mit Drehmechanismus bei 37°C bebrütet. Mit Hilfe einer Auflichtlampe werden dann alle Eier auf die Ausbildung von Blutgefäßen überprüft und eine Stelle mit deutlicher Verzweigung der Blutgefäße auf der Schale markiert. Anschließend wird ein Zugang zum Luftsack des Eies gesetzt und mittels eines Diamantbohrstiftes an der markierten Stelle ein Loch in die Schale gebohrt. Das Ei wird nun so gehalten, daß die Markierung nach oben zeigt und durch Ansetzen eines Vakuums wird dem Luftsack die Luft entzogen, wodurch sich die CAM an der markierten Stelle von der Eischale ablöst. Über dem so geschaffenen künstlichen Luftsack wird ein Fenster in die Eischale geschnitten und Zellen unter leichter Berührung der CAM in serumfreiem Medium auf der CAM platziert. Danach werden die Eier für weitere 52h bis 7 Tage ohne Drehung der Eier bebrütet.
Auf der oberen CAM kann dann spezifisch die Primärtumorbildung und in vivo Invasion gemessen werden. Zu den entsprechenden Messpunkten werden die Eier mit der Inokulationsstelle nach oben horizontal aufgeschnitten und sowohl der Hühnerembryo als auch, nach Entfernung des restlichen Eiinhaltes, die untere CAM gewonnen. Aus dieser können nun spezifisch nur die Tumorzellen, die in die Amniongefäße eindringen konnten (Intravasation), isoliert werden.
Den Hühnerembryos werden im weiteren Verlauf die Leber und die Lungen entnommen und die genomische DNA daraus isoliert, aus der dann die spezifisch in diese Organe metastasierten Zellen isoliert werden können. Die quantitative Auswertung erfolgt in allen Fällen durch eine sehr sensitive Real-Time-PCR unter Verwendung von ALU-spezifischen Primern und ist in der Lage, ca. 1 von 1 Million eingesetzten Tumorzellen in diesem Modell nachzuweisen. Das spezifische Protokoll wurde in Modifikation älterer semiquantitativer Protokolle von unserer Abteilung in dieser quantitativen Form entwickelt und bereits vielfach erfolgreich angewendet.