Sie befinden sich hier

Inhalt

Transkript - Oberärztin Dr. Christiane Otto

Frau Dr. Otto, Sie nehmen in der Universitätsfrauenklinik auch indizierte Schwangerschaftsabbrüche vor, auch Spätabbrüche. Das bringt eine besondere Verantwortung mit sich. Wie erleben Sie die aktuelle Situation, in der Ihre Klinik gewissermaßen als Alleinversorger für einen großen Umkreis fungiert?

Ja, das ist tatsächlich bei uns das große Problem. Wir sind eine der wenigen Kliniken in Süddeutschland, die diese späten Abbrüche, also Abbrüche, ich sage mal, jenseits der Fristenregelung, jenseits der 14 plus null Schwangerschaftswochen überhaupt noch durchführen, sodass wir viele Patientinnen haben, die eine doch sehr weite Anreise haben, die mit hohen Erwartungen zu uns kommen und die wir aber, wenn sie dann eben erst mal bei uns sind, im Zweifel gar nicht so gut abfangen können, weil die eben doch weit anreisen für den Eingriff, dann sozusagen da sind und dann auch zügig wieder in die Heimat zurückwollen. Dass wir da tatsächlich sehr gut gucken müssen in der kurzen Zeit, in der wir die Patientinnen da haben, dass wir sie auch psychologisch im Zweifel gut abholen.

Sie hatten bei unserem Fachtag vor zweieinhalb Jahren betont, dass Sie sich vor der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen immer rechtlich bei der Staatsanwaltschaft absichern müssen. Wie erleben Sie diesen rechtlichen Unsicherheitsraum und die Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Ja, also ich sage mal so: Man gewöhnt sich an alles, das ist aber natürlich schon sehr kritisch zu sehen, dass man für Tätigkeiten, die im Gesetz erst mal auch so vorgesehen sind, dass es so was wie späte Abbrüche gibt, trotz allem sich für jeden einzelnen dieser Eingriffe bei der Staatsanwaltschaft am Ende das Okay einholen muss, dass das in diesem Fall geht, dass die korrekten Dokumente vorliegen und so, das mache ich für sonst keine andere medizinische Leistung.
Selbst bei einem Wunschkaiserschnitt zum Beispiel, wo man überhaupt keine medizinische Indikation mehr sieht, hat man das nicht und das ist schon was, was für mein Gefühl dazu führt, dass am Ende das relativ wenige Kliniken in Deutschland überhaupt nur anbieten, weil das einfach was ist, was vom Gefühl her erst mal mit Unsicherheit verbunden ist, wenn man sich jedes Mal bei der Staatsanwaltschaft selber
anzeigt.

Was glauben Sie, wie sich die rechtliche Unsicherheit rund um den Schwangerschaftsabbruch auf die medizinische Praxis und auf das Vertrauen der Patientinnen auswirkt?

Also die Patientinnen erlebe ich durchweg als wahnsinnig dankbar. Die haben häufig, bis sie zu uns kommen, eine totale Odyssee hinter uns, dass sie überhaupt eine Klinik finden, die diesen späten Abbruch jetzt durchführen. Also das erlebe ich nicht so, dass die Patienten da irgendwie selber besorgt sind ob der rechtlichen Situation.
Also wenn die zu uns kommen, dann sind sie sehr, sehr dankbar, dass wir es machen.

Die rechtliche Unsicherheit bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs ist ein großes Thema. Sehen Sie hier eine Notwendigkeit für politische Veränderungen? Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern?

Ja, klar. Also für mein Gefühl wäre, also, das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Vielleicht muss ich so umformulieren. Denn die komplette Herausnahme der Schwangerschaftsabbrüche aus dem Gesetz oder einer doch sehr klar definierten Regelung birgt natürlich am Ende dann die Gefahr, dass es vielleicht doch zu wenige Vorkehrungen getroffen werden, zu wenige Gutachten eingeholt werden, dass vielleicht dann doch zu normal wird. Wir machen das ja in so einem rechtlichen Graubereich. Und da sind auch tatsächlich wir Ärzte im Zweifel vielleicht nicht diejenigen, die am Ende die letzte ethische Entscheidung treffen. Das ist für mein Gefühl ein großes gesellschaftliches Thema, was eigentlich zu diskutieren wäre, bevor man am Ende die Gesetze anpasst. Weil auch da: Die Kirchen ziehen sich komplett zurück. Wir sind aber nun mal eine kirchlich geprägte Gesellschaft hier in Deutschland. Das heißt, das Gefühl, was ich habe, dadurch, dass die Frauen, die zu mir kommen, erst mal diesen Abbruch wünschen, ist vielleicht nicht das, was die Gesellschaft in Deutschland zwingend hat und deswegen denke ich, das ist ein bisschen unfair, es am Ende auf uns Ärzte abzubügeln, in dem es in einem Gesetzestext steht und wir dann entscheiden sollen, ethisch entscheiden sollen, ob wir denn jetzt hier eine solche Situation wie im Gesetz verankert ist, tatsächlich auch vorliegen haben. Da denke ich, da sollte eigentlich die Gesellschaft diskutieren und dann sollte das Gesetz entsprechend verändert werden.

Wie gehen Sie persönlich mit dem emotionalen Druck um, der mit der Durchführung von Spätabbrüchen verbunden ist, sowohl für die Patientin als auch für Sie selbst als Ärztin?

Ja, das ist schon was, was einen irgendwie beschäftigt. Da hilft es sehr, dass wir ein wahnsinnig gutes Team sind und dass alle bei uns im Team grundsätzlich hinter der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen stehen und dass wir, wenn es da irgendwelche Fragen oder Probleme gibt, auch wissen, dass wir uns jederzeit auf den jeweils anderen verlassen können. Wir haben unsere Seelsorger im Haus, die nicht nur die Seelsorge für die Patienten übernimmt, sondern im Zweifel eben auch mal für uns Ärztinnen. Von daher fühle ich mich so emotional eigentlich gut aufgehoben in der Situation.

Welche Unterstützung benötigen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen, um die Versorgung von Frauen in dieser schwierigen Situation aufrechtzuerhalten? Und was würden Sie sich von der Gesellschaft oder den Institutionen wünschen?

Ja, das ist sehr schwierig. Da sind wir auch gerade im engen Austausch mit dem Sozialministerium, weil wir natürlich dadurch, dass wir eine der wenigen Kliniken sind, eine relativ große und auch schiere Masse an späten Abbrüchen machen, die eben im Zweifel am Ende tatsächlich ja immer mit ein bisschen emotionalen Problemen einhergeht und wenn die Patientinnen aus unserer eigenen Klinik kommen, aus unserer eigenen pränatalen Sprechstunde, dann haben wir einen sehr guten Draht und dann haben wir da auch einen sehr guten Bezug und dann ist das für uns auch die Vervollständigung einer bestimmten, eines bestimmten Weges, den die Patientin beschreiten möchte.

Ich würde mir schon sehr wünschen, dass eigentlich mindestens mal alle Universitätskliniken diese späten Abbrüche durchführen würden. Tatsächlich in den meisten Häusern ab 22, bei uns ab 18 Schwangerschaftswochen führen wir ja vorab diesen sogenannten Fetozid durch. Das wäre tatsächlich etwas, was für mich auch in ein stationäres Setting gehört von einem großen Krankenhaus. Also wegen mir können wir noch da die Maximalversorger dazunehmen. Aber ich bin eigentlich dagegen. Das gibt ja auch solche Tendenzen, dass am Ende jede Praxis, die pränatale Medizin anbietet, auch so einen Fetozid anbieten muss. Das sehe ich eigentlich nicht so, aber wenn es schon nur in Anführungsstrichen die Universitätskliniken und die Maximalversorger wären, die das machen würden, dann würde sich die Last tatsächlich auf so viele Schultern verteilen, dass das für die einzelne Klinik am Ende das ist, was zu unserem Job dazugehört und was nicht so ein großes Thema am Ende auch wird.

Vielen Dank.

Ja, sehr gerne.

Kontextspalte

Dr. med. Christiane Otto
Geschäftsführende Oberärztin
Frauenklinik, UMM

Video

Interview