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Transkript - Friedrich Stapf

Herr Stapf, Sie begleiten Frauen seit 50 Jahren bei einem sehr sensiblen medizinischen Eingriff. Was hat Sie damals bewogen Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, und was hält Sie bis heute dabei?

Also damals war es so, dass die Krankenhäuser voll lagen mit Frauen nach illegalen Abbrüchen. Ich habe da auch sieben Todesfälle erlebt und habe ich gedacht, diesen Zustand muss man ändern und bin dann in die Gynäkologie gegangen, hab dort in zwei Jahren das doppelte Facharzt-OP-Volumen gemacht, was erforderlich war, und habe dann nach zwei Jahren auch aufgehört, keinen Facharzt gemacht und habe dann fünf Jahre Notarzt gemacht und dann meine erste Praxis in Wiesbaden für Schwangerschaftsabbrüche. So dass es in einem humanen und medizinisch einwandfreien Rahmen verlief. Das war die Begründung, weil es konnte nicht mehr sein, dass Frauen blutend und mit Schmerzen in die Klinik nach illegalen Abbrüchen kamen. Da lagen die Krankenhäuser überall, in jeder Stadt voll. In Wiesbaden lagen ständig etwa 60 Frauen nach illegalen Abbrüchen in den Kliniken.

Sie führen heute mit fast 80 Jahren immer noch einen erheblichen Teil aller Schwangerschaftsabbrüche in Bayern durch. Was sagt das über die Versorgungslage in Ihrem Bundesland aus?

Ja, es war halt erst sowieso schwierig, in Bayern überhaupt Abbrüche zu machen. Da muss ich bis nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht gehen. Aber da habe ich dann gewonnen. Das Problem ist: Es gibt keine Ärzte, die Abbrüche machen wollen. Das liegt auch ein bisschen daran, dass wir solche Zustände zum Glück wie damals nicht mehr erleben, die Ärzte damals motiviert haben, sich da einzumischen, dass das besser geht. Es liegt aber auch ein bisschen daran, dass die heutigen Ärzte und besonders die Ärztinnen in der Gynäkologie sehr viel von Work Life Balance halten und auch gar nicht das ganze OP-Spektrum, was sie einbringen hätten müssen, erbringen. Das heißt, die Sachen, die sie auf dem OP-Katalog haben müssen, die kriegen Sie zum Teil bescheinigt, wenn sie daneben stehen.

Und insofern traut sich das auch keiner, weil ein ambulanter Schwangerschaftsabbruch in der 16. Woche ist halt auch ein Risikoeingriff. Und das muss man wollen und das muss man auch können. Dazu muss man relativ viel operiert haben und man muss auch so einen Laden machen wollen. Das Problem ist auch, Sie können ja eine Klinik theoretisch schon dazu zwingen, Abbrüche zu machen, aber den einzelnen Arzt halt nicht. Und wenn das so wird wie in der DDR, wo jeder gynäkologische Auszubildende Arzt Abbrüche machen musste, dann machen die es halt widerwillig und ungern und die Frauen werden schlecht behandelt. Das muss jemand wirklich wollen und sehen. Also man muss Frauen lieben, egal ob sie 15 sind oder 39, ob sie 40 Kilo oder 160 Kilo wiegen.

Wenn Sie heute zurückblicken: Was hat sich verändert im Umgang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch medizinisch, rechtlich und gesellschaftlich?

Medizinisch saugen wir halt heute ab. Das gab es zu meiner Assistenzarzt Zeiten noch gar nicht. Rechtlich haben wir eine, nach einem völligen Verbot des Abbruchs bis 75, haben wir dann seit 93 eine Beratungsregelung und da wird immer fälschlich behauptet, das sei rechtswidrig. Wenn das noch mal jemand sagt, dann werde ich richtig grantig, weil der Tatbestand des illegalen Abbruchs 218 ist nicht verwirklicht, wenn der Abbruch nach Beratung drei Tagen Frist und von einem Arzt gemacht werden, dann entfällt der Tatbestand des 218.

Und dann ist es nicht strafbar. Und es kann ja auch gar nicht rechtswidrig sein, wenn der Staat das bei 70 % der Frauen bezahlt. Der Staat kann ja nichts rechtswidrig, also rechtswidrig ist der Schwangerschaftsabbruch nicht. Es wird nur ständig von den Gegnern behauptet. Es ist aber falsch und da muss man endlich mal wer die Gedanken hat und die Terminologie bestimmt, der hat auch das ja, der hat die politische Macht. Und da muss man endlich mal sagen, dass rechtswidrig da überhaupt nichts verloren hat.

Gab es in all den Jahren einen Moment oder ein Erlebnis, das Sie besonders geprägt hat? Im Positiven oder vielleicht auch im Negativen Sinne?

Ja, da gab es viele Erlebnisse, die dann operativ auch kritisch worden. Aber ansonsten mache ich halt Schwangerschaftsabbrüche seit 1980 ambulant in eigener Praxis gerne. Und manchmal kommt man schon etwas ins Stutzen, wenn die Frau zum fünften Mal kommt, alle fünf Jahre. Aber die sagt sich dann halt unter Umständen Spirale muss ich selber zahlen, kostet viel Geld und den Abbruch kriege ich von der Kostenübernahme bezahlt. Und es wir haben halt auch so ein bisschen den sozialen Bodensatz, der aber der Bevölkerung bei uns, die halt nicht verhüten oder nicht verhüten können oder es gab und dann haben wir Asylbewerberinnen, die völlig unglücklich vergewaltigt worden sind und das muss man halt auch wollen, denen helfen zu helfen.

Das Grundprinzip ist, die müssen mit den Mundwinkeln leicht nach oben die Praxis verlassen, egal ob das Kind gekriegt haben oder ob es Abbruch gemacht haben.

Wie erleben Sie die jungen Kolleginnen und Kollegen, wenn es um das Thema Schwangerschaftsabbruch geht? Gibt es Offenheit, Zurückhaltung vielleicht auch Unsicherheit?

Die wollen damit nichts zu tun haben. Wirklich. Allesamt. In der Klinik gibt es ganz selten Ärztinnen, oder es gibt ja fast nur noch Gynäkologinnen als Assistenzärzte. Die wollen mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch nichts zu tun haben. Noch nicht mal bei einer Trisomie. Bei einer medizinischen Indikation sind die auch nur freundlich zu den Frauen, sondern sie möchten sie so schnell wie möglich los haben und erzählen den größten Mist. Und dann kommt die Frau heulend zu uns.

Was müsste denn passieren, damit sie irgendwann mit gutem Gefühl sagen können: Jetzt kann ich mich zurückziehen, Die Versorgung ist gesichert?

Die Versorgung ist gesichert, in ganz Deutschland. Jede Frau kriegt ihren Abbruch und die Frauen wollen das auch gar nicht in der Nähe haben, weil die Frauen gehen schon zur Beratung zwei Landkreise weiter, damit sie nicht erkannt werden von irgendwelchen Bekannten. Und auch der Abbruch, den machen die lieber in einer Großstadt anonym, in einer Einrichtung, die halt über 1000 Eingriffe im Jahr macht. Weil wenn das einer 2,3 mal im Monat oder in der Woche macht, das wird halt nix auf Dauer.

Das ist ein Eingriff, der üblicherweise in 90 % ein banaler Eingriff ist. Aber 10 % können ganz schnell zu einer sehr gefährlichen Situation entarten und das wird sich nicht ändern. Zum Glück haben ja die Ärztinnen und Ärzte nicht mehr den Anlass, weil Frauen da in der Klinik nach illegalen Abbrüchen in diesen Anlass dafür sich zu begeistern, den gibt es ja nicht mehr.

Und was sollten sie machen? Sie wollen damit nichts zu tun haben. Wer studiert denn Medizin? Das sind alles Töchter aus gutem Elternhaus. Und wenn die dann als Assistenzärztin ankommen, kommen sie mit einer gestärkten Seidenbluse, Perlenkette und einem gestärkten Kittel und schick das Stethoskop um den Hals in die Klinik. Für die ist das Thema Schwangerschaftsabbruch noch nie ein Thema gewesen. Für die wird es auch keins werden. Sie wollen sich mit ordentlicher Medizin beschäftigen.

Vielen Dank, Herr Stapf.

 

 

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Friedrich Andreas Stapf
Praktischer Arzt

Interview